Montag, 15. August 2011

Geschöpfe Gottes


Foto: Uwe Hauth


Neulich, nein, es war schon vorneulich, da war mein Freund und Finanzexperte Torsten Wucherpfennig bei mir zu Gast. Just in der Zeit versammelte sich eine gründungslustige Unternehmergruppe von jungen Wespen an unserem Haus. Sie befanden den Südwestpunkt des Hauses als optimalen Zielquadranten für ihre siedlungspolitischen Ambitionen. Wespen sind die Israelis unter den Insekten. Das war ein lärmendes Gesumme, viele Tage lang. Während ich noch die abreisende Frauenfraktion meiner Familie im Ohr hatte mit den Worten wie „Mach das bitte weg.“ konfrontierte ich den gestandenen Mann der Finanzfachwelt mit meinem Problem. Seine Antwort: „Das sind Geschöpfe Gottes. Lass sie machen.“ Huch. Der Mann ist eigentlich Ossi und eher mit einem kommunistischen Manifest gekartoffeldruckt worden als mit solchen Werken wie die des Deepak Chopra.

Ich habe mich an seinen Rat gehalten und nichts unternommen. Ich habe das Siedlungsgebaren an der lauesten Ecke unseres Hauses mit viel Freude beobachtet. Trotzdem war mir mulmig. Wenn meine beiden Mädels wieder einreiten, dann erwarten sie ja Ergebnisse. Und ich wollte ja auch nicht abgewählt werden, weil ich plötzlich spirituelle Ratschläge eines Finanzexperten mit ostdeutschem Migrationshintergrund befolge. Die ersehnten Ergebnisse schoben sich dann auch wie gewünscht von selbst zusammen. Einige Hornissen aus der Nachbarschaft haben – neben unseren Apfelbäumen – auch die Wespen als Nahrungsquelle zu schätzen gelernt. Jetzt ist wieder Ruhe am Haus. Und alle in der Familie waren zufrieden. „Wie hast Du sie weg bekommen?“ war natürlich die alles beherrschende Frage. Ich habe weise dreingeschaut wie der Dalai Lama und gesagt „Man muss dem Gast nicht alles über die Kochkunst verraten, wenn er ein leckeres Gericht genießt.“

Kürzlich nervte mich eine daumennagelgroße Fliege. Ich weiß nicht, das Rentnerteil war derartig unsensibel und ungeschickt, dass es mir ein leichtes gewesen wäre, es mit einer einzigen Bewegung auszuschalten. Aber ich dachte die ganze Zeit an Torsten Wucherpfennig. „Das sind Geschöpfe Gottes.“ Nun ja. Der Ingwer, den ich jeden Abend mit heißem Wasser übergieße ist das auch. Armer Ingwer. Bei dem habe ich das Gefühl nicht, wenn ich morgens das gut durchgezogene Gebräu mit Honig und Limette versetzt schlürfe. Und am nächsten Morgen genoss ich den „jungbleiben“-Trank in kleinen Schlückchen. Ich war schon fast am Boden des Halbliterglases. Da bemerkte ich eine dunkelschwarze Getränkeintarsie in dem trüb anisfarbenem Gesöff. Es war die Rentnerfliege vom Vorabend, die sich in meinem Gesundheitstrunk das Leben genommen hatte. Und ich habe es so spät gemerkt, dass mir im Bewusstsein dessen doch glatt ein Würgereiz die Speiseröhre hoch gewalkt kam. Geschöpfe Gottes, also nee. Danke für die Prüfung. 

Euer Michael

17. August Brandis - 20:00 Uhr - Theaterfestival - Opus 1