Das Buch zum Buch |
Liebe Leser,
wenn man sagt, die traditionellen Errungenschaften der Kultur gingen verloren, so stimmt das nur bedingt. Im Kabarett kann man das wunderbar beobachten. Das Publikum in dieser Nische ist die Schnittstelle zwischen alt und neu. Herbstlaubig vermodert unter den Endfünzigern die Fähigkeit des Gruppengesangs, während die neuen Kommunikationstechniken der Nachrückenden bei den graumelliertem Bildungswächtern kopfschüttelndes staunen verursachen.
Dass der Deutsche kein einziges Lied in voller Strophenlänge mehr beherrscht, ist nicht wirklich bedauerlich. Man braucht das halt nicht als überlebenswichtige Alltagsfähigkeit. Und als Gruppenvergnügen wurde das abschunkeln von religiös gefärbten Dauerhits wie das des „Ave Maria“ vom passiven funktionshören vorgestanzter mp3-Folgen abgelöst. Wie Gewürze nicht mehr nach ihrer ursprünglichen Pflanze benannt werden, sondern nach der Art ihrer Anwendung so findet man in der Musikindustrie auch CD’s, die einem eine aufwändige Analyse ersparen. Partymusik, Entspannungsmusik oder Musik zum Autofahren.
Ich glaube, unser Gehirn wird zu Zeit intensiv dazu angehalten, seine ganze Energie in das verlernen seiner Fähigkeiten zu stecken. Der Grund darin liegt wahrscheinlich in der Teilchenphysik, nach der die atomaren Elementarteilchen immer nach dem größtmöglichen Zustand der Ausgeglichenheit streben. So strebt auch der Mensch nach dem absoluten Zustand der Ruhe – langsam mit dem Sofa via Osmose vor glattgeschliffenen Unterhaltungsshows zu einer einzigen Masse verklumpen.
In Schwalmstadt und in Emmelshausen gibt es noch kleine Gruppen unbeugsamer, welche das Ensemblesingen noch beherrschen – wenn auch nur teilweise. Aber schaut selbst...
Euer Michael Sens